Als Wiener "Tatort"-Kommissar Moritz Eisner hatHarald Krassnitzer in seiner 25-jährigen Dienstzeit schon viele Fälle gelöst. Im Interview verrät der TV-Ermittler, was auf seiner "Bucket List" steht, was er gerne an sich ändern würde und was wichtig ist im Leben.
Am 17. Januar 1999, vor 25 Jahren, wurde der erste Wiener "Tatort"-Krimi mit Harald Krassnitzer als "Sonderermittler" Moritz Eisner ausgestrahlt. Mit der Folge "Tatort: Dein Verlust" (Sonntag, 10. März, 20.15 Uhr, Das Erste) feiert der 63-Jährige nun sein Dienstjubiläum. Für Krassnitzer ist das allerdings kein Grund zum Jubeln: Er hasst Jubiläen und die damit verbundene Nostalgie. Im Interview spricht der österreichische Schauspielstar, ebenfalls seit 1999 mit Kollegin Ann-Kathrin Kramer liiert, über die Vorteile seines Lebens im Hier und Jetzt, seine "Bucket List" und warum man im fortgeschrittenen Lebensalter besser planen sollte.
prisma: Sie sind seit 25 Jahren Ermittler in Wien. Haben Sie sich extra fürs Jubiläum eine besondere Geschichte ausgesucht?
Harald Krassnitzer: Nein, wir – also Adele Neuhauser und ich – bestimmen nicht über die Drehbücher und darüber, welcher Film wann ausgestrahlt wird. Wir reden in dem Sinne mit, dass wir ab und an mit der Redaktion zusammensitzen und darüber sprechen, was wir gern machen würden. Und dann bekommt man irgendwann ein Drehbuch und grinst oder freut sich, weil man etwas aus diesen Gesprächen wiedererkennt.
prisma: Man wurde gewarnt, dass sie keine Jubiläen mögen. Was stört Sie daran?
Krassnitzer: Ich feiere ja noch nicht mal meinen eigenen Geburtstag – und auch als Schauspieler lebe ich am liebsten in der Gegenwart. Die Zeit beim Film ist immer knapp bemessen. Also versuche ich, mich darauf zu konzentrieren, aus dem aktuellen Stoff das Bestmögliche herauszuholen. Die ständige Rückschau auf das, was man angeblich geleistet hat, bringt doch nichts. Sie ist gerade bei diesem Medium, das sich versendet, sehr schnell nichts mehr wert. Außerdem wäre man selbst abgelenkt von einer Vergangenheit, für die man sich heute nichts mehr kaufen kann.
"Ich betrachte die Melancholie eher skeptisch"
prisma: Haben Sie ein Problem mit der Rückschau oder dem Fazitziehen? Manchmal kann das ja auch fruchtbar sein für die eigene Zukunft ...
Krassnitzer: Ich habe vor allem ein Problem mit Selbstbeweihräucherung und Lobhudelei. Ich möchte andere Menschen nicht dazu zwingen, ein Fazit über mich zu ziehen. Daher die Geburtstagsabneigung. Ich habe ja auch keine Leistung erbracht, um auf der Welt zu sein. Wenn, dann sollte man meine Mutter feiern. Auch in meinem Beruf zählt immer nur der Augenblick. Wir Schauspieler sind wie Rennpferde oder Sportler. Man trainiert, man schaut und wartet auf die Glocke oder Klappe. Dann legst du los. Am Ende ist man immer nur so gut wie das letzte Rennen. Wenn ich am Sonntag eine Superquote hatte, wird darüber vielleicht am Montagvormittag diskutiert – aber das war's dann auch. Spätestens Montagnachmittag redet man darüber, wer als Nächstes diese Quote schlagen wird.
prisma: Jubiläen, Geburtstage und so weiter bedienen unser Bedürfnis nach einer angenehmen Form der Melancholie. Sind Sie völlig frei davon?
Krassnitzer: Ich betrachte die Melancholie eher skeptisch. Dieses "Ach, ist das lange her"-Gefühl bewirkt vor allem eine Verklärung. Wir ältere Menschen kennen das gut, aber auch bei jüngeren gibt es das ja oft schon recht früh. Ich frage mich, ob wir die Vergangenheit, oder nennen wir es Realität, in jenen Momenten nicht stark verändern. Waren die verklärten Momente von damals in Wirklichkeit nicht vielleicht anders, als man sie erinnern möchte? Ich mag Nostalgie aber auch deshalb nicht, weil sie eine Verlorenheit in der Gegenwart markiert. Man ist gar nicht mehr da, wo man sich eigentlich befindet, sondern würde lieber in der Vergangenheit leben. Das hat etwas Tieftrauriges. Dabei befinden wir uns gerade in wahnsinnig spannenden Zeiten voller Umbrüche. Damit sollte man sich beschäftigen.
prisma: Bereuen Sie Dinge, die Sie in der Vergangenheit getan oder versäumt haben?
Krassnitzer: Nein. Ich bin dankbar, denn aufgrund meiner Herkunft oder meines Werdeganges stand nirgendwo geschrieben, dass ich eine gewisse Karriere machen würde. Es wäre anmaßend zu sagen, dies und das hätte ich anders oder besser machen können. Ich bin sehr dankbar für viele Begegnungen mit tollen Menschen, mit Freunden. Das hat so viel Reichtum in mein Leben gebracht, dass es undankbar wäre, darüber nachzudenken oder zu reden, was man alles nicht erlebt hat.
"Wir sollten uns selbst und andere berühren"
prisma: Wenn Sie ein Fan der Gegenwart sind, heißt das auch, dass Sie kein planerischer Mensch sind, was die Zukunft betrifft?
Krassnitzer: Doch, das bin ich schon. Leider, würde ich manchmal sagen. Ich spüre, dass der Aufwand größer wird, um Dinge zu tun. Wahrscheinlich hat es mit dem Älterwerden zu tun. Wenn ich früher spontan ins Theater gegangen bin, überlege ich heute dreimal, ob ich heute wirklich gehen will. Das Gleiche passiert mit sozialen Beziehungen. Es ist anstrengender geworden, sich zu treffen und sich voll aufeinander einzulassen. Und doch ist es ja so wichtig. Ich begegne diesem Effekt mit mehr Planung dessen, was ich tun möchte oder vielleicht auch sollte. Und Planen heißt ja immer, sich mit der Zukunft zu beschäftigen.
prisma: Nehmen Sie sich konkret Dinge vor, die Sie in Ihrem Leben ändern möchten?
Krassnitzer: Manchmal schon. Ich möchte seit Jahren mit dem Rauchen aufhören. Im letzten Herbst hatte ich endlich den Punkt erreicht, wo ich dachte: Ich will das jetzt nicht mehr. Seit November lebe ich nun ohne Rauch – und hoffe, dass ich weiter durchhalte. Momentan gibt es kein Bedürfnis danach, und das ist gut so. Außerdem verspüre ich das Bedürfnis, noch viele Dinge zu lernen oder sie mir anzuschauen. Also denkt man darüber nach: Wie mache ich das? Letztes Jahr habe ich die Reise mit meinem Boot auf der Donau durch sieben Länder bis ans Schwarze Meer gemacht. Auch das war ein Traum, den ich mir noch erfüllen wollte – den ich aber Jahre vor mir hergeschoben hatte. Das alles sind Puzzleteile, die sich in meinem Leben verdichten. Es macht Spaß und hat eine hohe Lebendigkeit in sich. Und ja, so etwas muss man planen.
prisma: Welche Ziele haben Sie noch als Schauspieler?
Krassnitzer: Menschen zu berühren. Es ist das einzige Ziel, das man als Schauspieler haben sollte. Und das lohnendste auch. Fürs Leben gilt das übrigens auch: Wir sollten uns selbst und andere berühren. Wenn dies regelmäßig passiert, egal, wie man lebt oder welchen Job man macht, haben wir vieles richtig gemacht.
"In meinem Alter denkt man in kleinere Zyklen"
prisma: Ihr Jubiläums-"Tatort" ist vordergründig ein intelligenter Thriller, aber eigentlich geht es doch um Freundschaft. Konkret über eine besonders tiefe Freundschaft zwischen den Ermittlern Bibi Fellner und Moritz Eisner. Stimmen Sie zu?
Krassnitzer: Freundschaft oder Beziehungen allgemein fußen auf Vertrauen. Vertrauen ist ein unterschätzter Baustein unseres Lebens. Wir brauchen Vertrauen in Dinge und Vertrauen in Menschen, um selbst Dinge anpacken und richtig machen zu können. Der Film heißt "Dein Verlust", und wenn wir etwas verlieren, dann geht immer auch ein Stück Vertrauen weg. Das Vertrauen in einen geliebten Menschen, der gegangen ist. Oder wir haben auf etwas vertraut, das nicht geklappt hat, oder wo wir enttäuscht wurden. Wir sehen, was Corona mit uns und unseren sozialen Beziehungen gemacht hat. Auch da ging es entscheidend um Vertrauensverlust. Man trennt sich heute schneller, bricht Freundschaften schneller ab. Und Bitterkeit führt zu Verlust. Wir leben heute in einer Ökonomie der Abspaltung – das ist auf jeden Fall ein Thema unserer Zeit. Deshalb fand ich diesen "Tatort" spannend. Weil er uns zeigt, was der Verlust oder die Angst davor mit uns macht.
prisma: Jetzt haben Sie gar nichts über die Freundschaft zwischen der alleinstehenden Frau Bibi Fellner und dem alleinstehenden Mann Moritz Eisner erzählt. Ist diese Freundschaft nicht seit Langem der emotionale Kern Ihres "Tatorts".
Krassnitzer: Ja, und dazu die Tatsache, dass wir keine Helden sind. Fellner und Eisner sind uns nahe, weil sie bereit sind, uns an sehr intimen Dingen ihres Lebens teilnehmen zu lassen. Sie zweifeln und scheuen sich nicht, auch mal zu heulen. Sie scheuen sich auch nicht davor, Wut zu haben, ungeschickt zu sein oder Fehler zu machen. Alles Menschliche ist bei uns möglich. Deshalb machen wir diese Filme gerne, und deshalb werden wir gemocht. Dabei spielt die Freundschaft zwischen Bibi und Moritz natürlich auch eine große Rolle.
prisma: Sind Sie ein Freundschaftstyp?
Krassnitzer: Ja, eigentlich schon. Bekanntschaften hat man viele im Leben, gerade in meinem Beruf. Freundschaften hingegen habe ich nur eine Handvoll. Das sind Menschen, die sehe ich nicht unbedingt täglich, manchmal sogar Wochen, Monate oder Jahre nicht. Man erkennt Freundschaften daran, dass man weiß, der oder die andere wäre immer für einen da. Und dass man nahtlos anknüpfen kann, auch wenn man sich lange nicht gesehen hat.
prisma: Wie lange werden Sie in Wien noch weiter ermitteln?
Krassnitzer: Da schaue ich von Jahr zu Jahr. Für dieses Jahr haben wir drei Filme vereinbart, und über das nächste Jahr reden wir gerade. Da suchen wir Themen. In meinem Alter denkt man von Jahr zu Jahr und ganz allgemein in kleinere Zyklen. Was aber nicht heißt, dass mir die Arbeit oder das Leben weniger Spaß macht. Das Gegenteil ist der Fall.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH